Referenzen und Normale

Der wahre Wert einer physikalischen Größe ist eine abstrakte theoretische Größe, denn niemand kann irgendeinen wahren Wert beliebig genau bestimmen. Dafür wäre eine ideale Messtechnik notwendig, die nicht existieren kann. Zu messen ist grundsätzlich mit einer Unsicherheit belastet. Um die Länge des Tisches möglichst genau angeben zu können, benötigen wir vor Ort eine Referenzlänge, mit der wir die Länge des Tisches vergleichen können.

Ein Referenzsystem ist ein hochgenaues Messgerät, mit dem man Wert mit sehr geringer Messunsicherheit bestimmen kann. Oft kann man mit einem Referenzsystem nur diesen einen Messpunkt messen. Ein Längennormal als Referenzsystem kann z. B. die Länge l = 1m ± 100µm aufweisen. Das bedeutet, dass es maximal um 100µm von einem Meter abweicht. Mit diesem Referenzsystem werden Messgeräte üblicherweise nur bei der Länge 1m überprüft.

Wenn die Länge eines Zollstocks mit dem Längen-Referenzsystem verifiziert werden soll, dann legt man den Zollstock neben das Referenzsystem und liest den Messwert an der Stelle ab, bei der das Referenzsystem l = 1m anzeigt. Angenommen der Zollstock zeigt an dieser Stelle die Länge l = 1,005 m an. Wir wissen damit, dass unser Zollstock an dieser Stelle um 5mm mit einer Unsicherheit von ±100µm von einem Meter abweicht. Durch den Vergleich mit dem Referenzsystem wird die Messunsicherheit des Referenzsystems an der Messstelle auf das System übertragen.

Ein Gewichtsnormal zur Vermessung von Waagen kann z. B. das Gewicht m = 10kg ± 100mg aufweisen. Eine Waage misst z. B. 9,991 kg, wenn das Referenzsystem aufgelegt wird. Damit wissen wir, dass diese Waage eine Messabweichung von 9g ± 100mg bei m = 10kg aufweist. Das wahre Gewicht liegt also im Bereich zwischen 9,9911kg und 9,9909kg. Mit dem Referenzsystem wird das Messsystem an einem Messpunkt überprüft.

Um möglichst genaue Referenzgrößen lokal z. B. in einer Zollstockfabrik verfügbar zu haben, wurde das System der abgeleiteten Normale geschaffen. Die Länge eines Meters, also der Wert der Einheit Meter, ist eine zunächst beliebige Konvention, auf die sich die Menschheit geeinigt hat. Im 19. Jahrhundert wurde das Meter aus dem Urmeter in Paris – einem Stab der Länge 1m – abgeleitet, dessen Länge eine jahrhundertealte Konvention darstellt.

Heute kann die Länge eines Meters an verschiedenen Orten mit hohem technischem Aufwand aus Naturkonstanten sehr genau bestimmt werden. Das Urmeter – oder heute die Aufbauten zur Bestimmung eines Meters aus Naturkonstanten – werden als Primärnormale bezeichnet. Sie sind das Maß, der die Länge definiert. Primärnormale waren früher einmalig. Heute sind sie teuer, groß und aufwändig, deshalb stehen sie nicht in jeder Zollstockfabrik herum. Die Zollstockfabriken haben ein aus dem Primärnormal abgeleitetes Sekundärnormal. Es wird regelmäßig mit dem Primärnormal verglichen, um sicherzustellen, dass es die richtige Länge aufweist. In der Zollstockfabrik wird die Länge der produzierten Zollstöcke mit einem lokalen Sekundärnormal verglichen.

Aus einem Sekundärnormal können immer weitere Normale abgeleitet werden. Man kann z. B. so lange an einem Gewicht herumschneiden, bis gleich viel wie ein Gewichts-Sekundärnormal wiegt. Man legt dafür die beiden Gewichte abwechselnd auf eine Präzisionswaage und modifiziert so lange, bis die Waage bei beiden das gleiche Gewicht anzeigen.

Wenn beide Gewichte nicht auf exakt der gleichen Position liegen, liegt ein Messfehler vor, denn die Waage misst je nach Auflageposition etwas anders. Weil die exakt gleiche Positionierung nicht möglich ist, ist eine exakte Nachbildung nicht möglich. Deshalb steigt die Unsicherheit eines Referenzsystems mit jeder Ableitung etwas an. Eine (analoge) Kopie kann nicht genau den gleichen Wert wie das Original aufweisen.

Allgemein gilt: Das Primärnormal einer SI-Einheit definiert die Einheit, deshalb weist es per Definition keine Unsicherheit im Wert auf. Wird davon mit viel Aufwand ein Sekundär-Normal abgeleitet, weist dieses normalerweise eine extrem geringe Unsicherheit im Wert auf. Die Unsicherheit kann aber nicht geringer sein als die Genauigkeit der besten verfügbaren Messtechnik, denn genauer können wir den Wert des Sekundärnormals (und auch den des Primärnormals) nun mal nicht ermitteln.

Mit jedem Ableitungsschritt vom Primärnormal sinkt i. A. der Preis der Normale und es steigt die Messunsicherheit. Das Abgleichen der Länge des Zollstocks mit einem genauen Referenzsystem ist ziemlich aufwändig und macht den Zollstock teuer. Außerdem ist die extreme Genauigkeit bis auf einen Nanometer bei Zollstöcken nicht notwendig. Deshalb wird dieser Arbeitsschritt nicht bei Baumarkt-Ware im Wert weniger Euro durchgeführt.

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